Das Leben in sowjetischen Dörfern veränderte sich nach Stalins Tod drastisch. Die Veränderungen vollzogen sich unter anderem unter der Last der sich wandelnden kommunistischen Ideale, Normen und Ziele, der Entstehung einer neuen Konsumkultur, der Agrarreformen, des technologischen Fortschritts, der Verstädterung sowie der Migration. Dieser Wandel brachte viele Herausforderungen, aber auch Chancen und Verheißungen für die lokale Bevölkerung mit sich.
Diese Forschung untersucht, wie sich diese neuen Realitäten in den persönlichen Lebenswelten der Landbewohner:innen widerspiegelten, wobei sie sich insbesondere auf das Leben der Sowjetdeutschen in der nördlichen Kasachischen Sowjetrepublik konzentriert. Nachdem die einheimischen Deutschen während der Stalinherrschaft schweren Repressionen und Deportationen ausgesetzt waren, erhielten sie ab 1955 eine Chance auf soziale Integration, sozialen Aufstieg sowie eine gewisse „Normalisierung“ ihres Lebens. Durch das Zusammenstellen von Fragmenten ihres alltäglichen Lebens, die sich in Räumen der Existenz, in materiellen Dingen oder in persönlichen Geschichten angesammelt haben, wirft die dieses Projekt folgende Fragen auf: Wie wurde die sowjetische Alltäglichkeit in den ländlichen Räumen erlebt? Welche Formen der Selbstwahrnehmung, Praktiken und Handlungen sind in diesen Milieus entstanden? Was bedeutete Normalität damals? Wie hat sich ihre Bedeutung in der späten Sowjetzeit verändert?
Abbildung: Aus dem Familien-Archiv von Lidia Schulz. 1962, Schulausflug nach selo Burkai, Baumanskii sovhos, Kostanaiskaja oblast, Kasachische SSR.